Alltagsprobleme bei Pflege- und Adoptivkindern
Fühlen Sie sich als Pflege- oder Adoptiveltern manchmal überfordert? Vielleicht verhält sich Ihr Pflege- oder Adoptivkind ungewöhnlich und macht Dinge, die Sie aus Ihrer eigenen Kindheit oder der Ihres Partners nicht kennen. Möglicherweise fühlen Sie sich laufend provoziert und einfachste Regeln werden nicht eingehalten.
Oder Eltern aus der Nachbarschaft kommen zu Ihnen und beschweren sich massiv über das Verhalten Ihres Schützlings. Um mit solchen Situationen besser umgehen zu können, haben wir auf dieser Seite einige Tipps zum Thema „Pflegekinder und Verhaltensschwierigkeiten“ zusammengestellt.
Erziehe ich falsch?
- Wie war das Verhalten Ihres Kindes, als es zu Ihnen in die Familie kam?
- Erinnern Sie sich noch, wie es sich verhielt, nachdem es die Eingewöhnungsphase hinter sich hatte?
- Bedenken Sie, dass auch hochproblematisches Verhalten „mitwächst“ und sein Gesicht verändert:
Ein Beispiel:
Ein Kind, das schon vor der Aufnahme in Ihre Familie bei kleinsten Schwierigkeiten auf die höchsten Bäume kletterte und sich einfach weigerte, wieder herunterzukommen, wird in der Pubertät vielleicht schon bei leichtesten Schwierigkeiten “abhauen” und sich mit aller Vehemenz weigern, wieder in die Pflege- oder Adoptivfamilie zurückzukehren.
Machen Sie sich klar, dass Sie nicht verantwortlich sind für Störungen, die Ihr Kind vor der Aufnahme in Ihre Familie erworben hat. Schuldgefühle sind kein guter Ratgeber, gerade im Umgang mit schwierigen Kindern.
Ein Beispiel:
Das Beispiel zeigt, dass nicht Sie die Schuld am “Weglaufen” des Kindes tragen und dass es fatal wäre, dem vermeintlichen Wunsch des Kindes nachzukommen.
8 Tipps und Erklärungen zur Problemsituation Umgang mit Verhaltensschwierigkeiten
- Das Zaubermittel heißt Geduld, Geduld und nochmals Geduld.
- Vergessen Sie niemals, dass diese Kinder frühtraumatisiert sind, manchmal sogar schwerst- und mehrfach traumatisiert.
- Die Problematik Ihres Pflege- oder Adoptivkindes ist wahrscheinlich deshalb so hartnäckig, weil es sich um eine Überlebensstrategie handelt.
- Die frühtraumatisierten Kinder wollen ihr “Überleben” sichern, indem sie Macht und Kontrolle übernehmen.
- Genau das ist aber für Kinder schwer, denn die natürliche Macht und Kontrolle haben zunächst die Erwachsenen.
- Durch Provokation wird die Reaktion der Erwachsenen berechenbar.
- Trifft die vorher angestellte Berechnung des Kindes zu, gehen Macht und Kontrolle auf das Kind über – ein Erfolg, der die späteren Konsequenzen unwichtig erscheinen lässt.
- Wenn man es nur weit genug treibt, ist am Ende jeder berechenbar.
Ihr Kind verärgert Sie ständig
- Lassen Sie es auf keinen Fall so weit kommen, dass Sie sich aufregen oder ärgern – dann ist es schon zu spät.
- Durch Aufregung werden Sie die Situation nicht verbessern, sondern die Verhaltensstörung nur verfestigen, wenn nicht betonieren.
- Diese Selbstbeherrschung aufzubringen, scheint übermenschlich, erspart aber vergebliche Heilungsversuche und verschenkte Jahre.
- Reagieren Sie, egal was passiert, gelassen und mit viel, sehr viel Geduld. Bleiben Sie aber gegenüber Ihrem Kind unbedingt deutlich klar und liebevoll.
- Wenn Ihnen die ständige Geduld schwerfällt, dann denken Sie an etwas anderes oder beginnen Sie mit einer Tätigkeit, die Sie ablenkt.
Ein Beispiel:
Stellen Sie sich vor, Sie müssten Ihr Kind jetzt zeichnen. Betrachten Sie die Kopfform und die Gesichtszüge Ihres Kindes genau. Gehen Sie dann aus dem Zimmer und zeichnen Sie Ihr Kind jetzt aus dem Kopf.
Sie fahren nur aus der Haut, wenn Sie sich mit dem, was Ihr Kind Ihnen präsentiert, verbinden – also lassen Sie an dieser Stelle los. Dies gelingt Ihnen am besten, wenn Sie sich klar machen, dass es sich nicht um Ihr persönliches Problem handelt. Beschäftigen Sie sich bewusst mit einem anderen neutralen Thema, das Sie gut ablenken kann.
Ihr Kind beklaut Sie
- Wichtig ist, dass Sie den Diebstahl bemerken. Seien Sie deshalb stets wachsam.
- Reagieren Sie sofort auf den bemerkten Diebstahl.
- Denken Sie daran: Gelegenheit macht Diebe!
- Schließen Sie die Dinge weg, die Ihr Kind stiehlt – lassen Sie von diesen Gegenständen nichts einfach so herumliegen! Nie mehr!
- Sicher ein unangenehmes Lebensgefühl. Aber viel schlimmer ist es, wenn Ihr Kind weiterhin „Erfolge“ mit seinen Diebstählen hat.
- Jeder „Erfolg“ bestärkt das Kind darin, weiterzumachen.
- Gehen Sie davon aus, dass Ihr Kind für Diebstähle empfänglich bleibt. Schließen Sie deswegen dauerhaft ab und nicht nur für kurze Zeit.
- Selbstverständlich muss das Kind den entstandenen Schaden im vollen Umfange ersetzen.
Ihr Kind beklaut andere
- Grundsätzlich sollten Sie sehr streng vorgehen, damit dieses Mal das letzte Mal war, aber dennoch liebevoll und klar bleiben.
- Zunächst sollten Sie versuchen, alles restlos aufzudecken, ein Beispiel:
a. Was ist geklaut worden? – Hose
b. Wo ist das Diebesgut gestohlen worden? – Kaufhaus
c. Wann ist gestohlen worden? – 22.03./13.20 Uhr
d. In welchem Zusammenhang wurde geklaut? – Nachhauseweg
e. Mit wem wurde geklaut? – mit Schulfreund
f. Wo ist das Diebesgut jetzt? – unterm Bett - Das Gestohlene muss in Ihrer Anwesenheit beim Bestohlenen mit einer persönlichen Entschuldigung des Kindes zurückgegeben werden.
- Verschaffen Sie sich einen Überblick darüber, was Ihr Kind besitzt.
- Ab jetzt ist es notwendig, dass Sie regelmäßig alle Sachen Ihres Kindes sichten und aussortieren, was offensichtlich nicht dem Kind gehört.
- Führen Sie eine neue Regel ein: Es dürfen nur die Dinge in Ihre Wohnung oder in Ihr Haus, die dem Kind gehören.
- Neue Dinge müssen durch einen Kassenbon als solche kenntlich gemacht und Ihnen als Eltern gezeigt werden.
- Notfalls – bei Wiederholungen – verschärfen Sie die Regel: Jetzt dürfen nur noch Dinge in die Wohnung, die in Ihrer Gegenwart gekauft wurden.
- Verboten sind ab jetzt “leihen”, “schenken” und “finden”. Die typischen Ausreden sind: “Das hat mir dieser geliehen” oder “jener geschenkt” oder “Das habe ich gefunden.”
Ihr Kind “haut ab”
- Grundsätzlich können Sie ein “Abhauen” ab der Pubertät nicht verhindern. Unabhängig davon sollte es das oberste Ziel sein, dass das Kind nach Hause zurückkehrt.
- Machen Sie sich bewusst, dass die Gründe für das “Abhauen” in der Regel nicht im Verhalten der Pflege- oder Adoptiveltern, sondern in der Frühgeschichte des Kindes liegen.
- Machen Sie Ihrem Kind das Leben “auf der Straße” so ungemütlich wie nur möglich. Beispielsweise sollten Sie mögliche Anlaufstellen wie Nachbarn, Freunde oder Verwandte informieren und dafür Sorge tragen, dass das Kind sofort nach Hause geschickt wird.
- Wichtig ist dabei: Das Kind darf von niemandem bemitleidet oder gar für sein Verhalten in Schutz genommen werden.
- Es muss für alle Beteiligten deutlich sein, dass Flucht keine Lösung ist – zu Hause nicht und auch nicht im Leben.
- Solange Ihr Kind außer Haus ist, haben Sie nur wenige Möglichkeiten, pädagogisch einzugreifen. Konzentrieren Sie Ihre Kraft deshalb auf die Zeit, in der Ihr Kind wieder zu Hause sein wird.
- Arbeiten Sie aktiv und vor allem liebevoll an der Rückkehr des Kindes nach Hause, ohne aber den Anlass des Abhauens zu vergessen, d.h.: Ist das Kind weggelaufen, weil es keine Hausaufgaben wollte, dann sollte es nach einem Liebevollen Empfang und einer Nacht Schlaf, spätestens am nächsten Tag, eben jene Hausaufgaben nachholen. Gerne können Sie dabei das Kind verständnisvoll begleiten. Dies ist vor allem deswegen wichtig, weil die Botschaft fürs weitere Leben wichtig ist: Weglaufen ist keine Lösung!
Allein Lesen lernen
- Sie sollten eine unerschöpfliche Geduld und Vision besitzen oder sich diese aneignen.
- Nehmen Sie sich vor, Ihr Kind nicht merken zu lassen, dass Ihr Ziel das eigenständige Lesen ist.
- Leihen Sie aus der Bücherei jeweils ein Buch der klassischen Kinderliteratur (Astrid Lindgren, Erich Kästner).
- Lesen Sie ab dem Zeitpunkt der Einschulung jeden Abend mindestens ein Kapitel vor.
- Erwarten Sie nicht, dass Ihr Kind sofort mit dem eigenständigen Lesen beginnt.
- Am erfolgreichsten sind Sie, wenn Ihr Kind in völliger Freiheit aus einer Mischung von Interesse und Nachahmung mit dem Lesen beginnt.
- Verlieren Sie nicht die Geduld und auch nicht Ihre Vision, selbst wenn es Jahre dauert, bis Ihr Kind das erste Buch in die Hand nimmt. Bleiben Sie einfach standhaft dabei und lesen Sie weiter vor.
Zur Prävention
1. Führen Sie so früh wie möglich “Gute Gewohnheiten” ein und führen Sie diese konsequent durch! “Gute Gewohnheiten” sind Rituale, die den Alltag erleichtern und den Kindern durch die Vorgabe von Strukturen das Gefühl von Sicherheit und Orientierung vermitteln.
Ein Beispiel:
Straßenschuhe an der Haustüre ausziehen, Hausschuhe anziehen, Straßenschuhe wegstellen, Jacke aufhängen. Ein Essen wird gemeinsam begonnen und beendet. Man redet nicht durcheinander, sondern hört einander zu oder man sagt Bescheid, wenn man geht, sagt, wo man ist und wann man wiederkommt, eine gute Gesprächskultur innerhalb der Familie, regelmäßige Freizeitaktivitäten und gemeinsames Feiern von Festen mit der ganzen Familie.
2. Auch der Erwachsene sollte sich an die familiären “Guten Gewohnheiten” halten.
Sind die “Guten Gewohnheiten” schon lange vor der Pubertät in Fleisch und Blut übergegangen, werden sie in der Regel auch während der Pubertät nicht mehr abgelegt, höchstens in der Intensität abgeschwächt. So wird das Leben mit Pubertierenden enorm erleichtert.
Prävention vor der Pubertät
- Stellen Sie sich ein störendes Verhalten Ihres Kindes bei einem Menschen vor, der nicht mehr so klein und niedlich, sondern erwachsen und zwei Köpfe größer ist als Sie.
Beispiel: Türen knallen.
- Wäre Ihnen das gleiche Verhalten bei einem Erwachsenen unangenehm? – Wenn ja, dann prüfen Sie zunächst, ob dieses Verhalten Ihres Kindes länger anhält oder ob es sich lediglich um ein einmaliges Ereignis bzw. um eine vorübergehende kurze Phase handelt (die gibt es bei allen Kindern).
- Ist das unerwünschte Verhalten Ihres Kindes von Dauer, dann sollten Sie sofort sehr überzeugend und ruhig intervenieren.
Beispiel: “Bitte mache die Türen sorgfältig zu!“
- Verlieren Sie keine Zeit. Je länger Sie mit Ihrer Intervention warten, umso schwieriger wird es, eine Veränderung zu bewirken.
- Ihre innere Überzeugung führt zum Erfolg – Sie sollten sicher sein, dass Sie das Verhalten des Kindes wirklich verändern wollen.